Susdal hat´s geschafft

Ein Rodeopferd  vergißt das Buckeln

Von Thomas Link

(veröffentlicht in „freizeit im sattel“, Ausgabe 8/99)

Erst setzte Susdal Rodeoreiter reihenweise in den Sand - dann versuchten im Laufe der Jahre mehrere Ausbilder und zwei Besitzerinnen, es ihm wieder abzugewöhnen, aber vergeblich. Dann kam die Wandlung. Innerhalb weniger Wochen wurde der 13-jährige Susdal doch noch zum (fast) normalen Freizeitpferd.

  Frei geboren

in Argentinien

Susdal erblickte in Argentinien das Licht der Welt, kam erst als etwa achtjähriges Pferd mit Menschen in Berührung, als er für den Schiffstransport nach Europa eingefangen und kastriert wurde. Susdal wurde zum Bucking Horse bei einem Rodeoclub in Rheinland-Pfalz. Wie es dem Wallach dort in fünf Jahren erging, ist nicht bekannt. Eine junge Reiterin hatte Mitleid, kaufte Susdal gegen Ende des Jahres 1996, brachte ihn nach Odenbach in der Nordpfalz. Ihr erging es mit dem Pinto ähnlich, wie der späteren Besitzerin Patricia Hauck: Auch sie konnte ihn nicht reiten.

 

Im Spätsommer 1997 kaufte Patricia Hauck Susdal zum Schlachtpreis.  Die  heute 27-jährige Verwaltungsfachfrau suchte in vielen kleinen Schritten das Vertrauen des Pintos, der täglich geputzt, spazieren geführt, longiert und sogar gesattelt wurde. Schließlich konnte sich Patricia Hauck in die Steigbügel stellen, ohne daß das Pferd in Panik geriet.

Doch dann kam es zu einem folgenschweren Unfall: Wieder einmal wurde der gesattelte Susdal zum Spazierengehen am langen Strick aus dem Stall herausgeführt, als er vor irgend etwas erschrak, vorsprang und Patricia Hauck umriß. Ihr Schienbein brach knapp unterhalb des Knies, die Heilung dauerte Monate. Und ebenso lang wurde mit Susdal nichts gemacht - er lief mit der kleinen Pferdeherde des Hofs in Odenbach am Glan auf die Koppeln, kehrte mit der Herde zurück in seinen Stall. Anfassen konnte ihn niemand mehr; allein schon ein Strohhalm im Schweif reichte, um Susdal zur Raserei zu bringen. Nur den mutigen Tierarzt ließ der Pinto zum Entwurmen oder Spritzen an sich heran - Hufschmiede hielten sich von dem „Wildpferd" fern.

 

Susdal wird vom Araber aus getrieben, bis er die Anlehnung an dieses Pferd und damit den Trainer sucht. (Die Fotos sind nachgestellt.)

Als Patricia Hauck wieder halbwegs genesen war, nahm sie das Training mit ihrem Pferd wieder auf. Allerdings: Wenn sie mit einem Sattel in den Stallgang kam, begann Susdal zu zittern, stieg, zerriß die Anbindestricke. Die Zeit verging. Mehrere Pferdefachleute kamen und gingen, sahen sich den 150 Zentimeter hohen, an der Hinterhand gut bemuskelten Pinto an. Vor Berührungen solcher Fremden schreckte Susdal in die hinterste Ecke seines Stalles zurück, zitterte, drückte sein Kreuz hoch und „explodierte", wie es ein Rodeoreiter vielleicht nennen würde.

Gute Ratschläge nutzten nichts

Patricia Hauck bekam von Reitlehrern viele gute Ratschläge, wie das Pferd einzubrechen sei! Die junge Reiterin machte sich Gedanken um ihr Pferd – und war eigentlich so weit, Susdal in eine Ungewisse Zukunft zu verkaufen. Und dann kam das Glück für den Schecken und seine Besitzerin in Form von Andreas Haage auf den Hof. Der 34-jährige ist gebürtiger Erfurter, der einige Jahre in den USA lebte, das Westernreiten für sich entdeckte, in mehreren Trainingsställen beschäftigt war, erst kürzlich nach Deutschland zurückkehrte und derzeit im Hauptberuf als Installateur arbeitet. Zufällig hörte der Heimkehrer von dem einstigen Rodeopferd, traf sich mit Patricia Hauck, unterhielt sich mit ihr über die Probleme des Pintos.

Susdals Verhalten genau beobachtet

Der schlanke Ein-Meter-Achtzig-Mann sieht sich Susdal zunächst im Stall an. Das Verhalten des Tieres im Umgang mit seinen Nachbarn interessiert ihn. Nach kurzer Zeit des Überlegens sagt er in seinem amerikanischen Slang zu, sich des Pferdes anzunehmen.

 

Ganz vorsichtig legt Andreas Haage dem Pinto den Sattel auf. Während Susdal den Trainer und Patricia Hauck neben sich akzeptiert, beäugt er einen Zuschauer hinter dem Koppelzaun argwöhnisch.

Einen Erfolg seiner Arbeit mit dem Problempferd verspricht er aber nicht. Noch am gleichen Tag wird „der Bronco" - so nennt der Trainer den Schwarzweißen - aus dem Stall in die Reithalle gelockt, wo der Deutsch-Amerikaner in nur wenigen Minuten mit einfachem Herumgehen die Aufmerksamkeit des Pferdes auf sich lenkt.

Die folgenden paar Tage laufen ähnlich ab. Schnell überwindet Susdal in der Halle die extreme Scheu vor dem Fremden, verliert dem Trainer gegenüber seinen Fluchtinstinkt, kommt auf Zuruf, lernt das Stillstehen, läßt sich schließlich sogar longieren.

Ein Rückschlag auf der großen Koppel

Einen Rückschlag gibt es, als der Pinto in einer kleinen Herde die Freiheit der Koppel genießt, allerdings nicht wie die anderen in den Stall zurückkehren will - Andreas Haage leiht sich ein Pferd, schwingt sich in den für ihn ungewohnten Dressursattel, läßt die Steigbügel Steigbügel sein, und treibt von dem Araber aus Susdal über die mehrere Hektar große Koppel.

Anderthalb Stunden dauert es, mal folgt der Pinto dem Araber Seite an Seite, mal hat er keine Lust. Der Zuschauer fühlt sich sehr stark an den Videofilm von Shy Boy und Monty Roberts in der weiten Prärie erinnert. Dann ist der Araber erschöpft von der ungewohnten Arbeit, die Nacht naht heran - Susdal läßt sich nicht locken, geschweige denn fangen - aber nur an diesem Tag. Schließlich wird die Pferdeherde nochmal hinaus auf die Koppel getrieben und wieder hereingerufen - diesmal folgt der Schecke den anderen Pferden in den Stall.

 

Der Pinto hat sich auf Andreas Haage eingestellt, folgt ihm auf Schritt und Tritt.

In kleinen Schritten zum großen Erfolg

Als ein „bißchen Methode Monty Roberts", die er um eigene Beobachtungen  amerikanischer Pferdeherden   ergänzt,   beschreibt der Ostdeutsche seine Arbeitsweise. „Du mußt seine Signale abwarten!" Die Körperhaltung, die Hinterhand, die Stellung des Kopfes, der Ohren und des Schweifes- „alles ist wichtig, zeigt, ob das Pferd Dich akzeptiert". Und: „Du mußt nur ganz genau hinsehen!"

Alle Übungen, die Lektion des Vortages wird immer wiederholt, bevor eine neue folgt, dauern nur wenige Minuten. Nach 21 Tagen stellt sich der erste große Erfolg ein: Susdal ist gesattelt und duldet seinen neuen Partner für drei erste Schritte in der  Reithalle auf  seinem Rücken. Das Pferd ist zwar ängstlich, bleibt aber ruhig. Des Trainers Lob für den bisherigen Buckler: Er steigt sofort ab. 24 Stunden später wird aus den wenigen Schritten schon eine Runde, tags darauf sind es mehrere.

Erstmals wieder auf Susdal hinauf

Am 25. Tag des Trainings steigt Patricia Hauck nach zwei Jahren zum allerersten Mal und mit „einem mulmigen Gefühl" auf ihren Susdal. Nichts passiert, als das einstige Rodeopferd mit der jungen Frau im Sattel und an der Longe des Trainers einige Runden durch die Halle läuft.

Einen Tag danach traut sich sogar der Schmied heran. Zum wahrscheinlich ersten Mal im Leben werden dem Pferd die Hufe ausgeschnitten. Unter dem Trainer ins Freie kommt Susdal am 28. Tag, zunächst auf einer eingezäunten Wiese. Zwei Tage später folgt ein erster kurzer Ritt im Schritt ins Gelände - nur am Halfter und langem Anbindestrick, denn Susdals Zunge ist an der rechten Seite zentimetertief gespalten. Trense und Gebiß würden ihm vermutlich größte Schmerzen bereiten, schätzt Andreas Haage, der auch künftig auf eine solche Zäumung verzichten will.

 

Beim ersten Aufsitzen in der Halle war das frühere Rodeopferd noch ängstlich - einige Tage später auf der Koppel blieb es völlig gelassen.

Am 40. Tag der Ausbildung reitet auch Patricia Hauck ihren Susdal im Gelände, ganz kurz und nur im Schritt und Trab. Andreas Haage bleibt auf einem zweiten Pferd immer auf gleicher Höhe, gibt Kommandos und weist die junge Frau in die Schenkelhilfen ein.

Jubel auf Susdal

Am folgenden Tag bringt der Westernreiter den Schecken auf einer eingezäunten Wiese in den Galopp - die einst antrainierten Bocksprünge bleiben aus. Allerdings ist das Pferd naßgeschwitzt - das Abspritzen aus dem Wasserschlauch macht ihm dagegen gar nichts mehr aus.

Am 50. Tag jubelt Patricia Hauck, nachdem sie drei Stunden lang mit ihrem Pferd im Gelände unterwegs gewesen war: „Susdal hat's geschafft!"

 

Patricia Hauck und ihr Susdal haben es geschafft: Sie können zusammen ausreiten. Dabei wird der Pinto nur mit einem Halfter geritten, weil ihn ein Gebiß wegen seiner gespaltenen Zunge schmerzen würde. Fotos: Thomas Link

Nachtrag

Patricia Hauck und ihr Susdal hatten nur noch eine kurze Zeit miteinander: Im Sommer des Jahres 2000 wurde Susdal auf der Koppel von einem Pferd so unglücklich getreten, daß ein Vorderbein brach. Eine mehrwöchige Behandlung blieb leider erfolglos, sodaß das einstige Rodeopferd eingeschläfert werden mußte.

Update: Januar 2002

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